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Comeback ohne schlechte Souvenirs
Nach der Pleite im olympischen Finale zeigt Hicham El Guerrouj in Lissabon, „dass ich noch lebe“
15.03.2001
„Der Wiederanfang nach Sydney war sehr schwierig. Ich war psychisch am Boden, aber meine Familie, meine Freunde und mein Trainer haben mir sehr geholfen“, erzählt Hicham El Guerrouj nach seinem 3000-m-Sieg bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Lissabon. Verschwunden sind inzwischen auch die Fotos aus dem Wohnzimmer des 26-jährigen Marokkaner. „Wenn ich in mein Zimmer komme, dann möchte ich nicht mehr daran erinnert werden“, erklärt Hicham El Guerrouj. Ein Foto zeigte den Weltrekordler über 1500 m, die Meile und 2000 m, wie er seine bis vor Sydney schwärzeste Stunde erlebte: Im olympischen 1500-m-Finale von Atlanta war er 1996 just über das Bein seines damals schärfsten Konkurrenten Noureddine Morceli (Algerien) gestolpert. Danach musste er vom damaligen marokkanischen König Hassan II persönlich getröstet werden, um wieder auf die Beine zu kommen. Fortan war jenes Foto knapp vier Jahre lang die große Motivation für Hicham El Guerrouj, es besser zu machen. Doch nach Sydney gab es neues Foto: es zeigte, wie der Kenianer Noah Ngeny knapp vor ihm ins Ziel lief. Für Hicham El Guerroj war eine Welt zusammengebrochen. Zwischen den Spielen und schon vor Atlanta hatte er seine Strecke dominiert. Von 46 Rennen über 1500 m verlor er nur zwei – die olympischen Finals. „Jetzt konnte ich die schlechten Souvenirs nicht mehr sehen, deswegen gibt es sie nicht mehr.“Nach den Olympischen Spielen reichten Hicham El Guerrouj 35 Tage Urlaub nicht, um sein Trauma zu verarbeiten. „Es war so schwer, dass ich an manchen Tagen gar nicht zum Training gegangen bin.“ Erst nach gut drei Monaten hatte er sich erholt. „Anfang Januar fühlte ich, dass meine Form langsam zurück kommt, und dann war auch meine Motivation wieder da“, erklärt Hicham El Guerrouj, der vor der Hallen-WM nur zwei Rennen gelaufen war. In Gent hatte er die zwei Meilen gewonnen und in Liévin die 1500 m, bevor er nun in Lissabon erstmals über 3000 m zur Goldmedaille lief. „Für mich zählte hier nur der WM-Titel. Das größte Problem war die psychologische Last, der Welt zu zeigen, dass Hicham El Guerrouj noch lebt“, sagt der Marokkaner, der ebenso wie die anderen Leichtathleten seines Lands von der Förderung des Königshauses profitiert. „Der neue König unterstützt uns genauso wie der alte, er ist ebenso Leichtathletik-Fan", hatte Aziz Daouda, Manager der marokkanischen Läufer, über König Mohammed VI gesagt und hinzugefügt: "Wir haben in Marokko keine Sponsoren für die Leichtathletik, aber dafür haben wir den König." Als Anerkennung für die Erfolge, pflegt der Monarch seinem Sportstar Land zu schenken. Das führte nach den Olympischen Spielen jedoch dazu, dass nicht mehr alle Landsleute Hicham El Guerrouj verehren. Farmern war jenes Land weggenommen worden, das der Silbermedaillengewinner in der Nähe seines Heimatortes Berkane geschenkt bekam. El Guerrouj bereichere sich auf Kosten der Armen, kritisierte ein Gewerkschaftssprecher. Doch der Läufer entgegnete, er könne ein Geschenk des Königs nicht ablehnen.
Mit seinen fünf WM-Siegen und einer Reihe von Weltrekorden sowie etlichen Grand-Prix-Erfolgen dürfte Hicham El Guerrouj längst ein Multimillionär sein. Doch trotzdem hat er noch nicht genug. In einem Interview sagte der Läufer: „Ich bin nicht zufrieden damit, dass die IAAF das Preisgeld für die Sieger bei der Hallen-WM reduziert hat. Wenn sich daran nichts ändert, dann werde ich in Zukunft hier nicht mehr starten!“ Es geht um 10.000 Dollar, für El Guerrouj also eine Art Trinkgeld. Der Leichtathletik-Weltverband hatte die Siegprämie für Platz eins von 50.000 auf 40.000 Dollar reduziert und dafür erstmals auch für die Ränge vier bis sechs Gelder ausgeschüttet. Diese Plätze liegen freilich außerhalb der Vorstellungskraft eines Hicham El Guerrouj.
Weil das für ihn wertlose Silber von Sydney nicht seine letzte Medaille über die 1500-m-Strecke sein soll, hat Marokkos Läuferstar seine Pläne geändert. „Bei der WM in Edmonton will ich noch einmal über 1500 Meter antreten. Nur wenn sich der Zeitplan noch ändert und dadurch ein Start über 5000 m möglich sein könnte, würde ich mir den Doppelstart überlegen“, sagt Hicham El Guerrouj, der danach in Zürich den 5000-m-Weltrekord von Haile Gebrselassie (Äthiopien/12:39,36) brechen möchte. „Das wird dann auch meine Strecke in Athen 2004 sein.“ Insofern hätten die olympischen Erinnerungsfotos von den 1500-m-Rennen sowieso keinen Wert mehr.
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