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Zwei Frauen, ein Ziel
Die Olympiasiegerin Naoko Takahashi und die Weltrekordlerin Tegla Loroupe wollen beim real,- BERLIN-MARATHON Sportgeschichte schreiben und als erste unter 2:20 Stunden laufen
28.09.2001
Das Durchbrechen von Zeitbarrieren gehört zu den Höhepunkten der Leichtathletik-Historie. Eines der einprägsamsten derartigen Ereignisse passierte 1954 in Oxford: Roger Bannister lief die Meile als erster unter vier Minuten. Nach 3:59,4 war der Engländer im Ziel. Andere Läufer, die mit ihren Leistungen Leichtathletik-Geschichte schrieben, waren zum Beispiel der Belgier Gaston Reiff, der 1949 die 3000 m unter acht Minuten lief, oder Said Aouita, der 40 Jahre später den Weltrekord über diese Strecke unter 7:30 Minuten drückte und zuvor schon die 5000 m unter 13 Minuten gelaufen war. Über 10.000 m blieb der Australier Ron Clarke 1965 unter 28 Minuten, und 1993 war es der Kenianer Yobes Ondieki, der unter 27 Minuten lief. Im Marathon lief Derek Clayton (Australien) 1967 unter 2:10 Stunden, während es jetzt schon bald um die erste Zeit unter 2:05 Stunden gehen wird. Beim Berlin-Marathon am Sonntag rückt eine andere Barriere in den Blickpunkt: Es geht um die erste Zeit unter 2:20 Stunden im Frauenmarathon. In der noch recht jungen Disziplin war es die Norwegerin Grete Waitz, die 1979 in New York die klassische Distanz zum ersten Mal unter 2:30 Stunden gelaufen war.Inzwischen hält die Kenianerin Tegla Loroupe die Weltbestzeit. Vor zwei Jahren siegte sie in Berlin in 2:20:43 Stunden. Doch bei dem Versuch, als erste unter 2:20 zu laufen ist sie bisher ebenso gescheitert wie eine Reihe prominenter Läuferinnen vor ihr: Catherina McKiernan (Irland), Uta Pippig (Berlin), Wanda Panfil (Polen) oder auch Ingrid Kristiansen (Norwegen) und Joan Benoit-Samuelson (USA). Seit Mitte der 80er Jahre träumen die besten Marathonläuferinnen von der Zeit unter 2:20 Stunden. Vor 16 Jahren gab es dabei zum letzten Mal bei einem großen Stadtmarathon eine ähnliche Konstellation wie jetzt in Berlin. Damals besiegte die Olympiasiegerin Joan Benoit-Samuelson in Chicago die Weltrekordlerin Ingrid Kristiansen. Schon damals schlugen beide ein Tempo ein, das gut gewesen wäre für eine Zeit unter 2:20 Stunden. Am Ende siegte die Amerikanerin in 2:21:21 Stunden, der damals zweitschnellsten Zeit.
Die Zeit ist inzwischen reif für die Traumzeit. Und zwei jener Läuferinnen, die das Vermögen für ein solches Ergebnis haben, starten am Sonntag in Berlin: Die Olympiasiegerin Naoko Takahashi (Japan) trifft auf die Weltrekordlerin Tegla Loroupe (Kenia). Beide wollen die ersten sein, die die Barriere durchbrechen. Hier geht es um viel Geld, aber um noch mehr Prestige.
„Ich konnte in Boulder gut trainieren und bin auf einem ebenso guten Level wie im vergangenen Jahr vor den Olympischen Spielen in Sydney“, sagt Naoko Takahashi, die am Sonntag zum ersten Mal überhaupt in Europa bei einem Straßenlauf startet. „Ich habe jetzt zudem das Gefühl, endlich auf einer optimalen Strecke laufen zu können und deswegen meine Kräfte optimal ausnutzen zu können. Ich hoffe, dass ich in der Lage bin, den Weltrekord zu brechen“, sagt Naoko Takahashi, die in Berlin ihren ersten Marathon nach dem Olympiasieg laufen wird. Tegla Loroupe sagt: „Ich freue mich darauf, ein zweites Mal in Berlin laufen zu können. Außerdem wird die eine oder andere Läuferin eine Woche später beim Chicago-Marathon versuchen, unter 2:20 Stunden zu laufen. Ich will versuchen, ihnen zuvor zu kommen.“
Tegla Loroupe, die zeitweilig mit anderen Läuferinnen bei ihrem Detmolder Manager Volker Wagner wohnt und trainiert, hatte nach dem Berlin-Marathon 1999 auch den London-Marathon 2000 gewonnen und galt bei Olympia in Sydney als eine der großen Favoritinnen. Doch in der Nacht vor dem Rennen litt sie unter einer Lebensmittelvergiftung. Der Traum vom Olympiagold war aus, Tegla Loroupe lief als 13. ins Ziel. Auch danach hatte die Kenianerin, die 1991 nach Deutschland kam, kein Glück mehr im Marathon. In New York wollte sie sich im vergangenen November rehabilitieren. Doch mit Krämpfen wurde sie nur Sechste. In London im April blieb Tegla Loroupe nach fünf Kilometern plötzlich auf der Straße stehen. Aufgrund von Muskelproblemen machte sie Dehnübungen und verlor rund eine Minute. Doch Loroupe gab nicht auf und zeigte eine Leistung, die jener der Siegerin nicht nachstand. Fast 30 Kilometer später hatte sie die Führungsgruppe wieder eingeholt, doch am Ende fehlte ihr die Kraft. Platz acht war eine neue Enttäuschung. Und auch ihre Generalprobe für den Berlin-Marathon lief nicht nach Wunsch. Wiederum von muskulären Problemen beeinträchtigt, wurde sie beim Halbmarathon in Newcastle vor knapp zwei Wochen Achte. Allerdings war dies am Ende einer harten Trainingswoche. So assistiert ihr Volker Wagner eine erstklassige Form: „Einige Trainingswerte sind besser als vor ihrem Rekord in Berlin vor zwei Jahren. Und wenn wir eine leichte Erkältung in den Griff bekommen, dann müsste normalerweise ein Ergebnis unter 2:20 Stunden möglich sein.“
Über Zeiten und Trainingswerte spricht Naoko Takahashi nicht. Ihr letztes Rennen machte sie in Ohme (Japan) über 30 km im Februar. Damals war sie noch längst nicht in Topform, gewann aber in 1:41:57 Stunden und hatte damit ihren Trainer Yoshio Koide überrascht, der eine um mehrere Minuten langsameres Ergebnis erwartet hatte. „Dass Tegla Loroupe am Sonntag im Rennen ist, finde ich gut. Ich sehe das nicht als Rivalität, sondern als Motivation. Sie ist eine der besten Läuferinnen der Welt“, sagt Naoko Takahashi und fügt hinzu: „Ich freue mich auf dieses Rennen, ich will es genießen und hoffe, dass ich nach zwei Stunden und einigen Minuten im Ziel bin – näheres möchte ich dazu jetzt nicht sagen.“ Dennoch: es gibt Gerüchte, nach denen Naoko Takahashi am Sonntag ein Tempo einschlagen könnte, das sie in Richtung von 2:18 Stunden führt. Seit der Goldmedaille von Sydney hat die erste japanische Marathon-Olympiasiegerin in ihrer Heimat den Status einer Volksheldin. Derart populär ist Naoko Takahashi, dass ihre Lebensgeschichte sogar in dem Comicmagazin „Young Sunday“ dargestellt wird. Als Comicfigur „Kazekko“ (Die Tochter des Windes) hat sie den Berlin-Marathon bereits gewonnen. Und wenn sie am Sonntag tatsächlich siegt, erwarten die Herausgeber eine deutliche Auflagensteigerung der derzeit wöchentlich 700.000 Exemplare.
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