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Heinig fordert hundertprozentigen Einsatz für die Strecke
Nach dem Katastrophenjahr im Männer-Marathon kann es aber schon mit Blick auf die EM in München wieder aufwärts gehen
08.12.2001
Bundestrainer Wolfgang Heinig ist ob seiner Aufgabe nicht zu beneiden. Schließlich ist das Weltniveau oder selbst das europäische Niveau weit weg, national waren Deutschlands Marathonmänner so schlecht wie nie zuvor in zwanzig Jahren. „Ich mache es mir nicht einfach, aber wir sind von den Ergebnissen der Neunzigerjahre weit entfernt“, sagt Heinig und mag sehnsüchtig auf die Resultate von Stephan Freigang als Olympiadritter 1992, Konrad Dobler und Kurt Stenzel als WM-Sechster bzw. –Zwölfter 1993 in Stuttgart zu blicken. „Den Schuh, die Frage nämlich, ‚Warum ist es in dieser Disziplin seinerzeit nicht weitergegangen?‘ den ziehe ich mir nicht an!“ Heinig verweist auf die nur bedingt vorhandene Substanz auf der (Bahn-)Langstrecke. „Es fehlt einfach grundsätzlich die Basis. Was über 5000 m und 10 000 m nicht da ist, fehlt erst recht im Marathonbereich!“Der Marathonchef maßt sich jedoch nicht an zu sagen, es werde falsch trainiert. Allenfalls klagt er mangelnde Konsequenz im Training ein. „Es ist einfach wichtig, über einen längeren Zeitraum hinweg mit einhundert Prozent Einsatz zu arbeiten. Die vorliegende Jahreskonzeption mag zwar noch gut aussehen, aber dann zeigt sich, bei den vorgesehenen Maßnahmen fehlt hier und dort die Zeit, um diese dann auch mitzumachen. Vielleicht ist dies aber auch in unserer Gesellschaft nicht mehr zeitgemäß!“ Es mag durchaus beruhigend sein, dass sich im Gegensatz zum Frauenmarathon der Leistungsanstieg nicht weiter fortgesetzt hat, nach Heinig habe er sich allenfalls im Bereich zwischen 2:08 und 2:09 stabilisiert. „Die Lage hat sich auch in Europa beruhigt, ich denke vor allem an die Spanier, Portugiesen oder Italiener. Zahlreiche Leistungen haben sich im Zuge des offensiven Dopingkampfes als Eintagesfliegen herausgestellt!“
Tono Kirschbaum, Clubtrainer beim TV Wattenscheid, zeigt am Beispiel des Zahnmedizin-Studenten und deutschen Marathon-Vizemeisters Sebastian Bürklein sein Verständnis für die nicht immer (nur sportbezogen) konsequente Haltung. „Beim Marathon Geld zu verdienen, ist sicherlich schön und gut. Aber was ist das gegen das Gehalt eines Zahnmediziners. Langfristig gesehen!“ Dennoch gilt Bürklein mit nunmehr 28 Jahren als einer der Hoffnungsträger der doch arg gebeutelten Disziplin. Auch wenn er bedingt durch die Parallelität zwischen Studium und Leistungssport des Öfteren zwischen zwei Stühlen sitzt und dem beruflichen Vorwärtskommen den Vorrang gibt. „Sebastian hat mir in Frankfurt gut gefallen, weil er einfach offensiv gelaufen ist. Aber er muss sich Gedanken machen und sich in Richtung Marathon erst noch entwickeln. Denn ich kann mir nicht vorstellen, Studium und Spitzenleistungen in Einklang bringen zu können!“ lobt der Bundestrainer trotz aller Einschränkungen den Wattenscheider, den er natürlich gerne im EM-Team haben möchte. Doch bis dahin ist es freilich noch ein weiter Weg, schließlich ist die Norm 2:12:30 Stunden.
„Freigang, Eich und Fietz sind in der Lage, die EM-Norm zu laufen. Alle anderen sind doch etwas weiter weg!“ Der Zeitbonus für jüngere Läufer wird allerdings im Marathonbereich kaum greifen können, denn schon die zur Disposition stehenden Läufer wie Sebastian Bürklein oder Jirka Arndt sind über diese Jahrgänge hinaus. „Die Kriterien sind etwas kaugummiartig formuliert. Ich gehe davon aus, dass drei Läufer die Norm laufen werden und zwei mit dem entsprechenden Niveau für eine Mannschaftsplatzierung zwischen Platz eins und acht berücksichtigt werden. Mit Zeiten knapp unter 2:20 wird dies natürlich nicht möglich sein. Ich spreche dabei von Zeiten zwischen 2:13 und 2:15!“ Für den Bundestrainer kein leichtes Unterfangen, schließlich räumt er persönliche Bedenken ein – vor allem nach einer derart desolaten Jahresbilanz ist eher Zurückhaltung angesagt. Heinigs EM-Planungen haben jedoch auch eine große Unbekannte, und diese heißt Dieter Baumann. „Warum sollte Dieter Baumann nicht zwei, drei Jahre nicht dranhängen. Es muss doch nicht die 10 000 m-Strecke sein. Wenn er Marathon laufen würde, dann sähe dies auch schon ganz anders aus!“
Im Frühjahr wird sich mit Michael Wolf ein weiterer EM-Anwärter vorstellen, der sich unter Trainer Paul-Heinz Wellmann über den Hamburg-Marathon-Marathon für einen Mannschaftsplatz empfehlen möchte. „Ihn schätze ich stark ein, wenn er sich auf Marathon konzentrieren sollte“, sieht der Bundestrainer in dem 27jährigen Dürener schon ein Mann für künftige Aufgaben. Gleiches gilt freilich auch für Jirka Arndt, der nach einem Ermüdungsbruch schon für 2002 zusammen mit Trainer Axel Pohlmann auf die Karte Marathon setzen möchte. „Ich würde ihm zwar den Rat geben: Versuch’s noch einmal mit 10 000 m. Denn die 2:12:30 sind nicht so leicht. Ich jedenfalls fände es besser, Marathon Schritt für Schritt anzugehen!“ Für Bundestrainer Wolfgang Heinig zeigen sich somit manch interessante Perspektiven auf, die nach einer derart katastrophalen Saison mehr als nur ein „Frühlingserwachen“ sein könnten.
Wilfried Raatz
(aus LA 50/01)
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